Münster (pbm/sk). Eine Entscheidung des Kirchensteuerrates schafft wichtige Voraussetzungen für die Organisation unabhängiger Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in den Regionen des Bistums Münster.
Wie Menschen, die sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche erlitten haben, Zugang zu unabhängiger Aufarbeitung und Anerkennung erlangen können, wird seit langem kontrovers diskutiert. Ob kirchliche Gremien dazu in der Lage sind oder ob der Staat mehr Verantwortung übernehmen muss, sind dabei ungelöste Streitfragen. Angesichts dessen haben die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) und die Deutschen Bischofskonferenz 2020 die Arbeit sogenannter Unabhängiger Kommissionen vereinbart. In diesen Kommissionen sollen in jedem Bistum selbst betroffene Menschen, von der Kirche benannte und vom jeweiligen Bundesland entsandte Personen ehrenamtlich die notwendige Aufklärung und Aufarbeitung unabhängig von kirchlichem Einfluss voranbringen. So der Plan.
Diesen Plan wirklich werden zu lassen, dafür hat nun der Kirchensteuerrat im Bistum Münster auf seiner Sitzung am 6. Mai in Münster die notwendigen Voraussetzungen geschaffen. Insgesamt 1,75 Millionen Euro hat er für die Arbeit einer „Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs und sexualisierter Gewalt für die Regionen des Bistums Münster“ (Unabhängige Aufarbeitungskommission/UAK) bereitgestellt. Das Geld soll in den kommenden 3,5 Jahren primär zur Finanzierung einer hauptamtlich besetzten Arbeitsstelle der UAK und für die Organisation der ehrenamtlichen Arbeit der UAK eingesetzt werden, die dann ebenfalls unabhängig überprüft und ggf. fortgesetzt wird. Mit dem Bistum muss nun darüber ein entsprechender Vertrag abgeschlossen werden.
Um den vom Bistum Münster unabhängigen Charakter der UAK zu unterstreichen, werden die ehrenamtlich tätigen Mitglieder – anders als in anderen Bistümern – nicht vom Bischof von Münster berufen. Die Mitglieder sind nicht an Weisungen gebunden und nur ihrem persönlichen Gewissen verpflichtet. Die UAK arbeitet völlig außerhalb kirchlicher Strukturen und Verantwortlichkeiten. Mitglieder der insgesamt achtköpfigen UAK sind drei Betroffene sexueller Gewalt – gewählt im Rahmen eines Betroffenentreffens im März 2023 – : Melanie Hach, Dr. Hans Jürgen Hilling und Bernhard Theilmann, zwei vom Land NRW vorgeschlagene Mitglieder: Prof. Dr. Christian Schrapper und Birgit Westers sowie drei vom Bistum vorgeschlagene Mitglieder: Prof. Dr. Thomas Großbölting, Regina Laudage-Kleeberg und Prof. Dr. Thomas Schüller. Vorsitzender der UAK ist Prof. Schrapper.
Nach ihrer Aussage ist die UAK, „zuerst den Interessen und Rechten von Missbrauch und Gewalt betroffener Menschen im ‚kirchlichen Raum’ verpflichtet. Nur ihnen gegenüber ist die UAK Rechenschaft schuldig. ´Kirchlicher Raum´ bedeutet, dass neben Gemeinden und kirchlichen Verbänden auch Einrichtungen zum Beispiel der Caritas oder Ordensgemeinschaften gemeint sind.“ Von daher werde die UAK den Betroffenen in den Regionen des Bistums Münsters regelmäßig berichten und ihre Impulse vorrangig aufgreifen. Ziel sei es, dass Betroffene Ansprechpersonen erhielten, mit denen sie über ihre Erfahrungen von Leid und Unrecht im geschützten Rahmen sprechen könnten. „Die Betroffenen bestimmen selbst darüber, ob und in welcher Weise eine weitere Aufarbeitung erfolgt bzw. ob sie an geeignete weiterführende Stellen weitergeleitet werden möchten“, sagt Schrapper. Die UAK werde keine eigene Beratungsstelle aufbauen, sondern hierfür ein Netzwerk verfügbarer Beratungen, Unterstützungen und Hilfen, die Betroffene zuverlässig und für sie erreichbar in Anspruch nehmen können, knüpfen.
Um diese Aufgaben bearbeiten zu können, wird aus den nun bewilligten Finanzmitteln eine hauptamtlich besetzte Arbeitsstelle eingerichtet. Diese wird vor allem leicht zu erreichende Kontakte für Menschen aus allen Regionen des Bistums eröffnen, Begleitung und Beratung organisieren, Erfahrungen und Themen aufbereiten und sich dabei konsequent am Willen und den Anliegen der Betroffenen orientieren. Aufgabe der ehrenamtlichen Kommission ist es, diese Arbeit zu verantworten und die grundlegenden Themen sexueller Gewalt immer wieder gegenüber Kirche und Öffentlichkeit zu vertreten. Aus dieser Arbeit sollen auch Hinweise gewonnen werden auf kirchliche Strukturen und Denkweisen, die immer noch Missbrauch ermöglichen oder erleichtern. Auch wird die UAK bewerten, was im Bistum, Verbänden und kirchlichen Gemeinschaften getan wird, um sexuelle Gewalt und Missbrauch nachhaltig zu verhindern.
Nach drei Jahren – zum 30. Juni 2026 – soll die Arbeit der UAK durch die Betroffenen selbst und die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs evaluiert werden. Bei einer positiven Bewertung ist eine Fortführung zunächst für drei weitere Jahre möglich. Im Anschluss erfolgt eine erneute Evaluierung.
Erste Informationen sind ab sofort unter www.uak-muenster.de zu finden, Kontakt kann über die Mail-Adresse: kontakt@uak-muenster.de aufgenommen werden. Eine Telefonhotline, regelmäßige Kontakte in den Regionen des Bistums und öffentliche Veranstaltungen sollen spätestens nach dem Sommer folgen.
Der Generalvikar des Bistums Münster, Dr. Klaus Winterkamp, zeigt sich dankbar, dass der Kirchensteuerrat die Finanzmittel für die UAK zur Verfügung gestellt hat. „Wir gehen bei der weiteren Aufarbeitung einen anderen Weg als andere Bistümer. Zentral beim ‚Münsteraner Weg‘ der Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs ist die völlige Unabhängigkeit der Kommission. Der Kirchensteuerrat hat in seinem Beschluss die Bildung der UAK ausdrücklich begrüßt und den Mitgliedern der UAK für die Bereitschaft, sich hier zu engagieren, sehr gedankt.“ Mit der Entscheidung, so heißt es in dem Beschluss, „bekennen sich die Mitglieder des Kirchensteuerrates zur Mitverantwortung der Laien, Ehrenamtlichen und Gläubigen in der Kirche, die neben dem Bischof, der Bistumsleitung, der Bistumsverwaltung und der hauptamtlichen Pastoral in bestimmten Fällen sexuellen Missbrauchs und sexualisierter Gewalt nicht ausreichend schnell und umfassend genug eingeschritten sind bzw. diese Fälle ermöglicht, gedeckt oder verschleiert haben oder in manchen Fällen an Taten unmittelbar beteiligt waren.“
Winterkamp weist zudem darauf hin, dass neben der UAK das Bistum Münster selbst seine Angebote für Betroffene sexuellen Missbrauchs auch weiterhin aufrecht erhalten wird. „Insbesondere die Ansprechpersonen für Betroffene und die Interventionsstelle waren in den vergangenen Jahren bereits in vielen Fällen wichtige Anlaufstationen und eine große Hilfe für viele Betroffene. Diese Arbeit im Kampf gegen sexuellen Missbrauch hat sich sehr bewährt. Von daher werden wir hieran ebenso festhalten wie am ständigen Beraterstab, der insbesondere den Bischof beim Vorgehen im Kampf gegen sexuellen Missbrauch unterstützt. Und selbstverständlich werden wir auch in unseren Präventions-Anstrengungen nicht nachlassen.“