Ich stehe im Flur in der Schule und bin wie vom Blitz getroffen. Da hängt ein neues Gemälde. Großformatig weiß, darauf zwei schwarze Hände, die sich berühren wollen. Sie strecken sich nacheinander aus. Sie können sich aber nicht berühren, denn zwischen ihnen ist ein großer Graben. Es sieht fast aus, als hätte es eine Explosion gegeben. In diesem Graben steht in dicken schwarzen Buchstaben geschrieben: „Keep your distance“. „Halte Abstand“. Erst jetzt sehe ich, dass die eine Hand einen riesengroßen Mundschutz um das Handgelenk trägt. So einen blauen, medizinischen.
Unverkennbar, das Original ist Michelangelos „Erschaffung des Adam“. Es gehört zu einem Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan. Bei Michelangelos Bild sind sich die Finger so nah, dass dabei Leben geschaffen wird. Gott und Mensch so eng verbunden, dass der Lebensfunke über kurze Distanz überspringen kann.
Und hier in der Schule stehe ich sprachlos und gleichzeitig begeistert vor „Keep your Distance“. Das Bild von Lina aus der Oberstufe trifft genau den Nerv, den ich in dieser wilden Zeit spüre. Abstand halten von anderen Menschen. Es wird gefährlich für Dich und für die andere Person.
Das ist für mich so schwer. Ich glaube, so sind wir Menschen nicht gemacht. Wir sind doch darauf angewiesen, dass wir Kontakt haben, dass wir uns treffen, uns umarmen oder die Hand geben, dass wir zusammen lachen, singen, feiern und lernen. Ohne Abstand! Und vor allem, ohne vorher zu überlegen: geht das jetzt oder geht es nicht? Dieser Graben zwischen den Fingern oder Händen, die sich eigentlich berühren wollen, ist zu groß geworden. Und wir haben erstmal nicht gelernt, mit so einem Graben umzugehen.
Beide Bilder, das von Michelangelo, aber besonders das von Lina zeigen für mich, dass wir Menschen darauf angewiesen sind, uns nah zu sein. Dann passiert was, dann springt der Funke über. Für mich funktioniert nur so echtes Leben.
Das zeigt Linas Bild eindrücklich: es gehört zum Leben, anderen nah zu sein.
Es ist zur Zeit nicht so leicht wie vor Corona. Es kostet Kraft und es wird weiterhin Kraft kosten, miteinander verbunden zu bleiben. Aber wir schaffen das, weil wir Menschen sind. Und – ich bin sicher – weil Gott dabei ist. Wir sind Gottes Geschöpfe. Von diesem Gedanken bin ich zutiefst getragen. Für mich heißt das, dass wir auf ein Du ausgerichtet sind. Auf eine Beziehung zu Gott und vor allem auf die zu anderen Menschen.
Impuls von Pastoralreferentin Johanna Vering