Kennen Sie das Problem der Stachelschweine? Es tritt vor allem in kalten Nächten auf. Die Stachelschweine beginnen zu frieren und wollen sich gegenseitig wärmen. Also rücken sie immer dichter zusammen, um sich aneinander zu kuscheln und sich so vor der Kälte zu schützen. Aber je enger sie zusammenrücken, desto schmerzhafter spüren sie die Stacheln der anderen, die sie stechen. Und so haben die Stachelschweine ein Problem. Es ist ein Problem, das auch uns Menschen nicht unbekannt ist: Es geht nämlich um das richtige Verhältnis zwischen Nähe und Distanz.
Dass es nicht nur für Stachelschweine, sondern auch für Menschen manchmal recht schwierig ist, das richtige Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz zu finden, das spüren viele von uns in dieser Corona-Zeit ganz deutlich. Da gibt es die einen, die unter der notwendigen, aber doch unfreiwilligen Distanz zu ihren Mitmenschen echt zu leiden haben. Sie fühlen sich isoliert und sind teilweise auch wirklich vereinsamt. Die sozialen Kontakte sind weggebrochen. Dem Leben fehlt damit ganz wesentlich eine Quelle der Freude. Das seelische Wohlbefinden ist arg beeinträchtigt. Es gibt aber auch die anderen, die rund um die Uhr mit ihren nächsten Angehörigen und Hausgenossen zusammen sind. Manche von ihnen klagen, dass sie nun überhaupt keine Zeit mehr für sich alleine haben. Ständig ist jemand bei ihnen und um sie herum, der irgendetwas braucht oder irgendetwas will. Hier ist nicht das Zuviel an Distanz, sondern das Zuviel an Nähe das große Problem. So wie Stachelschweine, so können auch Menschen nur glücklich sein, wenn es beides im richtigen Maß gibt: vertraute Nähe und notwendige Distanz respektive Freiraum oder „Beinfreiheit“.
Für uns Christen ist diese Erkenntnis alles andere als neu. Das Problem der Stachelschweine wird bei uns in der Theologie dogmatisch gelöst. Und zwar im Traktat über die Trinität. Der dreifaltige Gott ist sozusagen das Maß aller Dinge, wenn es um das richtige und ausgewogene Verhältnis zwischen Nähe und Distanz in Beziehungsfragen geht. Denn im Dreifaltigkeitsglauben zeigt sich, dass die göttlichen Personen eins sind, obwohl sie drei sind: das heißt dass sie unterschieden sind und bleiben, auch wenn sie eins sind. In Gott gibt es also schon immer und für immer eine Gleichzeitigkeit von größter Nähe und größter Distanz. Nur so ist ja auch Liebe möglich, indem sie den anderen anders sein lässt und in seinem Anderssein nicht nur aushält, sondern rückhaltlos bejaht. In der echten, zumal in der göttlichen Liebe schließen sich daher Nähe und Distanz nicht aus, sondern sie schließen einander gegenseitig ein.
Bei Gott ist das Problem der Stachelschweine also schon immer gelöst. Bei uns Menschen wird es noch gelöst werden. Das aber wird der Mensch nur mit Gottes Hilfe hinbekommen. Jetzt kann er lediglich üben, das richtige Gleichgewicht zwischen Nähe und Distanz in seinen Beziehungen hinzubekommen. Und die Corona-Zeit ist dabei sicherlich eine Art Stresstest. Und ich denke, es lohnt sich, auch dabei Gott um Rat und Hilfe zu bitten.
Impuls von Pastor Frank Weilke