Im Moment verbringen die Eltern (zwangsläufig) viel Zeit gemeinsam mit ihren Kindern. In die Schule dürfen sie nur an bestimmten Tagen gehen und die Kindertageseinrichtungen können auch nur im begrenzten Maße die Betreuung der Kinder übernehmen. Das ist in manchen Familien vielleicht für beide Seiten eine außergewöhnliche Herausforderung, besonders wenn die Eltern neben der Hausaufgabenbetreuung auch noch das Homeoffice managen.
Es ist aber auch eine Zeit, in der Familien (wieder) enger zusammenrücken, sich gegenseitig helfen und unterstützen. Dabei kommt es dann nicht so sehr darauf an, welche besonderen, außergewöhnlichen Fähigkeiten die einzelnen Personen haben, sondern vielmehr auf kleine Gesten, den aufmerksamen Blick oder ein aufmunterndes Wort.
Die Geschichte von Leo Tolstoi „Drei Söhne“ erzählt von einer solchen kleinen Geste:
Drei Frauen wollten am Brunnen Wasser holen. Nicht weit davon saß ein Greis auf einer Bank und hörte zu, wie die Frauen ihre Söhne lobten.
„Mein Sohn“, sagte die erste, „ist so geschickt, dass er alle hinter sich lässt …“ „Mein Sohn“, sagte die zweite, „singt so schön wie die Nachtigall. Es gibt keinen, der eine so schöne Stimme hat wie er …“ „Und warum lobst du deinen Sohn nicht?“ fragten die die dritte, als diese schwieg. „Er hat nichts, was ich loben könnte“, entgegnete sie. „Mein Sohn ist nur ein gewöhnliches Kind, er hat nichts Besonderes an sich und in sich …“
Die drei Frauen füllten ihre Eimer und gingen heim. Der Greis ging langsam hinter ihnen her. Die Eimer waren schwer, und die abgearbeiteten Hände schwach. Deshalb machten die Frauen eine Ruhepause, denn der Rücken tat ihnen weh.
Da kamen ihnen die drei Jungen entgegen. Der erste stellte sich auf die Hände und schlug Rad um Rad. Die Frauen riefen: „Was für ein geschickter Junge!“ Der zweite sang so herrlich wie die Nachtigall, und die Frauen lauschten andächtig und mit Tränen in den Augen. Der dritte Junge lief zu seiner Mutter, hob die Eimer auf und trug sie heim. Da fragten die Frauen den Greis: „Was sagst du zu unseren Söhnen?“
„Wo sind eure Söhne?“ fragte der Greis verwundert, „ich sehe nur einen einzigen Sohn.“
Von Elke Wibbeke, Pastoralreferentin