Die Kirche in Bad Waldliesborn ist dem heiligen Josef, dem Schutzpatron der Arbeiter, geweiht. Am Sonntag, 3. Mai 2020, kann sie daher ihr Patronatsfest begehen. Und es kann nun tatsächlich auch ein gemeinsamer Gottesdienst gefeiert werden.
Was den weltlichen Tag der Arbeit mit dem Festtag des heiligen Josef, dem Arbeiter, verbindet, ist nicht nur die Tatsache, dass auch der Nährvater Jesu als Zimmermann mit seinen eigenen Händen gearbeitet und den Lebensunterhalt verdient hat. Nein, ebenso wichtig ist, dass das Neue Testament an den wenigen Stellen, in denen es bei Matthäus und Lukas um den heiligen Josef geht, ihn als einen gerechten Menschen darstellt. Das Gerechtsein ist die Charaktereigenschaft, die die Bibel mit diesem Heiligen in besonderer Weise verbindet. Und Gerechtigkeit ist zugleich auch die immer wiederkehrende, zentrale Forderung bei den Mai-Kundgebungen der Arbeiterinnen und Arbeiter, der Dienstleisterinnen und Dienstleister bis in unsere Gegenwart.
Die große Frage lautet aber: Was ist eigentlich gerecht? Worin besteht die Gerechtigkeit? Was ein gerechter Lohn ist und wie lange Menschen gerechterweise dafür arbeiten sollten, lässt sich der Bibel sicherlich nicht direkt entnehmen, wenngleich sie die Fürsorge und die gerechte Behandlung der Armen immer wieder thematisiert und einfordert, vor allem in den Geboten des Alten Testaments, wo teilweise auch heute noch brauchbare Ideen und Vorschläge dazu zu finden sind. Aber auch die Gestalt des heiligen Arbeiters Josef aus dem Neuen Testament gibt uns einige wertvolle Hinweise darauf, was Gerechtigkeit in einem tieferen Sinne beinhalten kann.
Das Gerechtsein des heiligen Josef wird dadurch veranschaulicht, dass er sich in aller Stille von seiner Braut Maria trennen will, nachdem er erfährt, dass sie ein Kind erwartet, dessen Vater nicht er selbst ist. Er will also seine Braut frei geben und er verzichtet darauf, sie bloß zu stellen oder sie anzuklagen. Das Letztere wäre für Maria nicht ungefährlich gewesen. Und so beschreibt uns das Matthäusevangelium den heiligen Josef als einen Menschen, der eben nicht zuerst an sich selbst denkt, sondern der immer auch das Wohl des anderen im Blick behält. Josef ist niemand, der auf Vergeltung oder Rache aus ist, und er ist ebenso niemand, der einfach nur stumpf nach dem Buchstaben des Gesetzes handelt. Er hört vielmehr auf sein Herz und auf die innere Stimme seines eigenen Gewissens. Und genau darin besteht seine Gerechtigkeit.
Und nachdem ihm Gott im Traum die Wahrheit offenbart hat, dass nämlich seine Verlobte ein Kind vom Heiligen Geist erwartet, da ist er sofort bereit einzusehen, dass seine Verlobte Maria wirklich kein Unrecht begangen hat. Die Gerechtigkeit des heiligen Josef zeigt sich also auch darin, dass er anerkennen kann, wenn der andere im Recht ist.
Gerade in diesen Zeiten der Corona-Krise, die ja noch lange nicht zu Ende ist, geht es immer auch um die Frage: Was ist fair? Was ist gerecht? Und diese Frage stellt sich gerade jetzt, wenn es um die Lockerungen der Schutzmaßnahmen geht, wo die Interessen vieler Menschen miteinander abgewogen werden müssen.
Wenn es uns aber als Gesellschaft oder auch als einzelnen gelingt, bei der Antwort auf diese Frage nicht nur an uns selbst, sondern auch an das Wohl der anderen zu denken, und wenn wir mit der Möglichkeit rechnen, dass vielleicht auch die anderen im Recht sein könnten, dann können wir hoffentlich dem Beispiel des heiligen Josef folgen und nacheifern.
Geistlicher Impuls von Pfarrer Frank Weilke