Leidensgefährten
Heute am Karfreitag beten viele Christen den Kreuzweg, sei es nun mit dem Gotteslob in der Hand (GL-neu 683; GL-alt 775), sei es am Computer, wo heute der Kreuzweg der Kolpingfamilie aus Wadersloh auf dieser Homepage gezeigt wird oder sei es heute Abend am Fernsehgerät, wenn der Kreuzweg mit dem Papst aus Rom übertragen wird. Manche gehen ihn auch, indem sie den Kreuzwegstationen in einem Kirchengebäude oder – heute bei gutem Wetter – in der freien Natur folgen, wie etwa in Stromberg oder in Liesborn oder an anderen Orten, in denen solche Kreuzwege im Freien gestaltet wurden. Auf diese Weise können wir die Passionsgeschichte Jesu miterleben und so in gewissem Sinne zu „Leidensgefährten“ des Herrn werden.
Ich möchte Sie in diesem Impuls dazu einladen, einige „Leidensgefährten“ auf den Kreuzwegstationen Jesu zu betrachten und sich vielleicht auch selbst in dem einen oder anderen von ihnen wiederzuerkennen:
Gebet zu Beginn:
Herr, du hast gesagt: „Wer mein Jünger sein will, der nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach!“ Wir wollen jetzt deinen Spuren nachgehen und dir Gefährten auf dem Leidensweg sein. So lass vor unserer Seele lebendig werden, was deine Passion für uns bedeutet:
I. Jesus wird zum Tod verurteilt: Geht es mir nicht manchmal so wie dem römischen Statthalter Pontius Pilatus, der sich ungerührt vom Schicksal Jesu die eigenen Hände in Unschuld gewaschen hat? Nein, auch ich fühle mich oft für das Leiden der anderen weder verantwortlich noch zuständig. Auch ich will mit dem Leiden der anderen lieber nichts zu tun haben. Ich distanziere mich von denen, die ja vielleicht auch selbst schuld sind, wenn ein solches Unglück sie getroffen hat. Ich will kein Leidensgefährte sein und bin es doch geworden.
II. Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern: Herr, sei bei allen Menschen, die jetzt das Kreuz eines bitteren Leides auf sich nehmen müssen, sei es von Menschen zugefügt, von eigener Schuld oder durch ein unbarmherziges Schicksal.
III. Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz: Herr, erbarme dich über uns, wenn uns dein Wille zu schwer wird, wenn wir uns gegen unser Schicksal wehren.
IV. Jesus begegnet seiner Mutter Maria: Oder geht es mir so wie der Mutter des Herrn, die ihrem Sohn auf dem Kreuzweg begegnet ist? Sie muss das Leid und die Gefahr, die Not und die Schande des liebsten Menschen mitansehen, ohne helfen zu können. Und ist der Schmerz dieser Hilflosigkeit angesichts des Leides nicht fast noch größer, als wenn es um mein eigenes Schicksal ginge?
V. Simon von Zyrene hilft Jesus das Kreuz tragen: Erkenne ich mich vielleicht in dem Bauern Simon von Zyrene wieder, den die Soldaten zwangen, Jesus das Kreuz tragen zu helfen? Ja, ich helfe dem anderen, weil es sein muss. Eigentlich bin ich aber schon müde von der vielen Arbeit des Tages, eigentlich will ich nur noch nach Hause, eigentlich brauche ich selbst dringend eine Pause. Ja, ich tue meine Pflicht, aber es ist eine Last für mich. Wie vielen Pflegenden und Betreuenden mag es wohl manchmal so ergehen wie dem Bauern Simon? Aber wie mag es mir erst gehen, wenn ich von der Hilfe und Fürsorge anderer abhängig bin, ohne es zu wollen?
VI. Veronika reicht Jesus das Schweißtuch: Veronika zeigt Mitgefühl. Sie will dem leidenden Jesus helfen, ihm zumindest ein wenig Erleichterung verschaffen. Das Bild des gepeinigten Jesus prägt sich auf dem Schweißtuch ein. Es verlässt Veronika nicht mehr. Vielleicht geht es auch mir so, dass ich bestimmte Bilder von Leid und Schmerz, die mir begegnet sind, nicht mehr loswerde, dass sie bei mir bleiben und dass ich sie mit Ruhe und Verständnis anschauen muss, um wieder heil zu werden.
VII. Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz: Herr, dich bitten wir um Erbarmen für alle, die ihr Kreuz nicht mehr tragen können, die unter dieser Last zusammengebrochen sind.
VIII. Jesus begegnet den weinenden Frauen: Die weinenden Frauen, denen der Herr auf dem Kreuzweg begegnet, veranschaulichen die Trauer, die uns angesichts des menschlichen Leidens und Sterbens erfasst. In dieser Trauer spiegelt sich das Wissen darum, dass letztlich alle Menschen Gefährten im Leiden sind. Darauf weist auch Jesus die weinenden Frauen hin.
IX. Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz: Herr, dir empfehlen wir alle, die in eine letzte Finsternis stürzen, die ihrem Kreuz und ihrem Leben entrinnen wollen.
X. Jesus wird seiner Kleider beraubt: Herr, dir befehlen wir alle, die der Roheit der Menschen ausgeliefert sind, die nicht mehr als Menschen mit eigener Würde anerkannt und behandelt werden.
XI. Jesus wird ans Kreuz angenagelt: Links und rechts von Jesus werden zwei Räuber gekreuzigt. Sie teilen wahrhaftig das gleiche Schicksal wie Jesus. Und doch berichtet der Evangelist Lukas, dass sie ganz unterschiedlich mit diesem gemeinsamen Schicksal umgehen: Der eine hat keinerlei Hoffnung auf Rettung und Hilfe mehr, er reagiert darauf mit Vorwürfen und mit Spott, mit Wut und mit Zynismus gegenüber Gott und gegenüber den Menschen. Der andere findet im letzten Moment eine Hoffnung, die ihn nicht zugrunde gehen lässt. Er vertraut auf die Verheißung Jesu: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!“ In beide Haltungen können wir uns einfühlen: möglicherweise in Wut, Enttäuschung und Verzweiflung angesichts von Leid und Schmerz, mit Gottes Hilfe aber auch in eine Hoffnung und Zuversicht, die uns nicht verlässt.
XII. Jesus stirbt am Kreuz: Das Markusevangelium berichtet von dem römischen Hauptmann unter dem Kreuz, der beim Tod Jesu bekennt: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!“ Manchmal machen Menschen eine ähnliche Erfahrung, wenn jemand stirbt. Sie bekommen eine Ahnung geschenkt, dass auch dieser Sterbende tief mit Gott verbunden ist. Und ihnen leuchtet dann ganz unverhofft auf, dass auch dieser Mensch ein Kind Gottes ist und immer sein wird.
XIII. Jesus wird vom Kreuz abgenommen: Wir sehen das Bild der „Mater dolorosa“, der Schmerzensmutter. Ein Kind zu verlieren, bedeutet, dass einem ein Schwert durch die Seele dringt, so kündete es schon Simeon der Gottesmutter Maria an, es ist eine auf Erden nahezu unheilbare Wunde. Wer so etwas nicht selbst erlebt hat, kann es nicht verstehen. Die Mutter Gottes aber hat es erlebt und wurde zur Schwester aller, die dieses Schicksal teilen.
XIV. Jesus wird ins Grab gelegt: Einen Menschen zu begraben, ist ein Werk der Liebe und des Erbarmens. Einsam ist Joseph von Arimathäa, der Jesus sein eigenes Grab überlässt. Nur von Ferne schauen einige Frauen diesem Begräbnis Jesu zu. Ist das nicht ein treffendes Bild für die vielen einsamen Bestattungen, die in diesen Wochen der Corona-Krise stattfinden? Und zugleich für die vielen Begräbnisse, bei denen auch außerhalb der Pandemie-Zeit kaum jemand anwesend ist? Und dennoch glauben wir, dass niemand im Tod allein bleibt.
XV. Jesus ist aus dem Grabe auferstanden: Lasset uns beten: Mein Herr und mein Gott! Am dritten Tag bist du auferstanden von den Toten und bist heimgekehrt in die Herrlichkeit des Himmels, um einen Platz zu bereiten für alle, die an dich glauben. Stärke unsere Ausdauer auf dem Weg der Nachfolge – bis du uns heimholst, damit auch wir dort seien, wo du bist. Amen.
Geistlicher Impuls von Pastor Frank Weilke